Wieder einmal lässt es sich einfach nicht vermeiden, das Haus zu verlassen. Heute hat Floyd`s Gattin einen ihrer beliebten Auftragszettel geschrieben, damit ihm ja nicht langweilig wird. Zumindest ist das ihre offizielle Begründung. Floyd vermutet je nach ihrer hormoneller Gesamtlage immer wieder eine Spur von Sadismus in ihrem Verhalten. Aber wie dem auch sei, spürt er auch als sozialphobischer Asperger Autist eine Verpflichtung, sich an der Haushaltsführung zu beteiligen. Also hat Floyd wie gewohnt das Ritual des “Ausbaldowerns” des besten Weges initiiert. Erst geschaut, ob ein Nachbar, oder sonst Bekanntes in Sichtweite ist, der ihm einen Smalltalk aufzwingen könnte und dann schnell das Haus verlassen. Heute nach gründlicher, aber wenig Erfolg versprechender Abwägungsüberlegung (es gibt heute einfach keinen entscheidenden Vorteil, den einen, oder anderen Weg zu bevorzugen, was in Ermangelung an Entscheidungsparametern fast das gesamte Einkaufsprojekt zum Scheitern gebracht hätte), den Weg rechts um unser Haus herum abgebogen, in der Hoffnung, dass Floyd auf dieser Route ins Dorfzentrum heute keiner Begegnen würde, der ihn in seinen Vorbereitungsgedanken hinsichtlich diverser Einkaufsvorhaben stören könnte. Aber falsch gedacht; da kommt ihm schon Nachbar Josef entgegen. Keine Chance zum Abhauen, im Boden versinken, oder Wegbeamen. Josef hat ihn schon erblickt und Floyd interpretiert das wilde Wedeln seiner Arme als reges Mitteilungsbedürfnis. Aber wie so oft, liegt Floyd mit seinen Deutungsversuchen der Gestik und Mimik des ihm Entgegenkommenden wieder mal falsch. Statt ausführlicher Berichte seiner derzeitigen gesundheitlichen, vorzugsweise urologischen Gesamtsituation, einer mehr als fragwürdigen Bewertung der derzeitigen Ausländerpolitik, oder der immer wieder gerne zum wiederholten Mal erzählten Urlaubserlebnisse des Onkels mütterlicherseits (er ist fast in ein Schürfloch in Coopers Peedy, Australien, gefallen), heute nur neben einer kurzen Begrüßung ein kurzes Statement über das Wetter im vorbei gehen, nochmaligem wilden Schlenkern mit den Armen (was immer er auch damit ausdrücken will) und schon ist die Situation überstanden. Das war leicht! So “warminterpretiert” ist Floyd bereit, sich den noch kommenden Herausforderungen seiner Einkaufstour zu stellen, denn er ist sich sicher, es sollten ihm heute noch weitaus heftigere Erlebnisse widerfahren.
Der Postschalter im Supermarkt wird Floyd`s erste Station sein, denn er muss Briefmarken kaufen, um den zuständigen Postboten zu motivieren, seine zukünftigen Briefsendungen ordnungsgemäß zu zustellen. Und sofort das erste Problem: die Postwertzeichenverkauferin mit ostdeutschem Migrationshintergrund ist nicht an ihrem Platz hinter dem Schalter. Nur die Tür zum Paketraum steht ein wenig auf. Was tun? Von den in Frage kommenden Handlungsoptionen für diese Situation wie, z.B.
- einfachem Warten (wie lange?)
- andere Besorgungen vorziehen (bringt Floyd`s ausgefuchste Routen –und Terminplanung für diesen Einkauf durcheinander)
- oder Selbstbedienung (könnte erfahrungsgemäß Ärger nach sich ziehen)
entscheidet er sich nach sorgfältiger Konsequenzen Analyse für ein kräftiges „HALLO" und schon kehrt eine sich ständig entschuldigende Bedienung wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Aber sie sollte Floyd noch weiter fordern. Auf Floyd`s Bestellung von 10 selbstklebenden Postwertzeichen zu 62 Cent überrascht sie ihn mit der Frage, welches Motiv Floyd bevorzugen würde. Als ob er sich die als Gemälde über das Bett kleben wollte! Sein „ ist mir scheißegal" hat er im letzten Moment noch auf ein „das überlasse ich ganz Ihnen" ändern können, dann schnell bezahlen und ab dafür. Jetzt wäre Floyd in der passenden Stimmung, Markus und Martina zu treffen; zwei besonders außergewöhnliche Menschen, die das Talent besitzen, Floyd mit ihrer „einfachen, bescheidenen, distanzlosen Art“ völlig fassungslos zu machen.
Diese Beiden scheinen ihre Einkäufe extra so zu planen, das sie Floyd stets an der Kasse des Supermarktes begegnen, die vis a vis zum Postschalter liegt, um sich dann von dort lautstark -es sind schließlich ca. 30 Meter Luftlinie von der Kasse bis zum Postschalter zu überbrücken- nach Floyd`s Wohlbefinden im Allgemeinen, und seiner psychischen Verfassung im Besonderen zu erkundigen. In Ermangelung des geeigneten Wortschatzes tun sie das immer auf sehr „subtile“ Weise, aber dafür stets mit außergewöhnlicher Lautstärke: „ Na, wie isset"? „Wat macht die Gesundheit"? Warste ma wieder bein Tsychiater“? Sind ihre liebsten Formulierungen. Da beide über herausragende Menschenkenntnisse verfügen, wissen sie natürlich die Antworten schon und nehmen sie vorweg. „Am liebsten gut, ne"? Bei so viel Interesse und Sympathiebekundungen hat Floyd auch immer das spontane Bedürfnis, sich nach Markus` Hämorrhoiden und Martinas Gebärmutterabsenkung zu erkundigen, sieht aber davon ab, da die Beiden ihm beizeiten mitteilten, dass ihnen das an der Supermarktkasse doch etwas peinlich sei. Darum belässt es Floyd in solchen Situationen bei einem gequälten „muss ja" und sieht zu, wie er sich schnellstmöglich von diesem Ort des Grauens entfernen kann. Aber selbst auf Markus und Martina ist heute kein Verlass und so begibt sich Floyd unangesprochen weiter auf Abenteuerreise in das Dorfzentrum, wo er noch eine neue Batterie in seine Armbanduhr einsetzen lassen will. Der örtliche Uhrmachermeister ist ein Profi. Er erkennt durch die in Floyd`s offenen rechten Hand getragenen Armbanduhr gleich: „neue Batterie, nicht war"? Auf Floyd`s bestätigendes Nicken fügt er noch hinzu „dann geben se mal her; in einer Viertelstunde können sie wiederkommen, dann ist sie fertig". Perfekt! Einen kompletten Geschäftsvorgang nur mit einem Nicken abgewickelt, so etwas liebt Floyd. Nur die viertelstündliche Wartezeit ist lästig. Was also tun? Da Floyd diese Wartezeit unverständlicher Weise im Vorfeld nicht berücksichtigt hat, muss er improvisieren. Er weiß im Nachhinein nicht, was ihn geritten hat; ob die fehlende Markus und Martina - Begegnung ihn übermütig hat werden lassen, oder der Druck der noch fehlenden Weihnachtsgeschenke für seine Frau ihn zu dieser Tat geführt hat; Floyd hat alleine und ohne große Not die in unmittelbarer Nähe zum Uhrmacher liegende Parfümerie betreten! Bereits nach kurzer olfaktorischer Prüfung der Atemluft setzt intensiver Schwindel ein und Floyd`s Sinne schienen ihm einen Streich spielen zu wollen, und spendierten ihm die Illusion einer Karussellfahrt. Das hat eine bärtige Bedienung im Anzug wohl gleich erkannt, die Floyd nach überschwänglicher Begrüßung an ein Beratungspult führt. Auf dem Weg dorthin hat Floyd wohl etwas vor sich hingemurmelt, in dem die Worte Ehefrau, Parfüm und Geschenk vorkamen, die die bärtige Bedienung veranlasste, eine Unmenge von Flakons vor Floyd aufzubauen, Papierstreifen mit deren Inhalt zu besprühen und ihm diese vor seine Nase zu halten. Dazu erzählte er Floyd etwas von puderigen, blumigen und fruchtigen Düften, die es zu unterscheiden galt. Floyd glaubte, dass er selten so hilflos war, wie in dieser Situation. Betäubt durch den Geruchscocktail von Veilchen, Moschus, Sandelholz und anderer ihm bis dato unbekannter „Düfte“ und der durch die bärtige Bedienung beraubten Illusion, Parfüm würde nur von hübschen, gut gewachsenen jungen Frauen verkauft, wurde Floyd immer schwindeliger. Vergleichbar mit dieser Situation war allenfalls mal der Besuch eines Weinhändlers mit Floyd`s Ehefrau, der ihnen nach ausgiebiger Probe einen nach Vanille und Schokolade schmeckenden Wein verkaufen wollte, und Floyd sich ernsthaft überlegte, diesen Kerl wegen Betruges anzuzeigen. Wenn Floyd Wein kaufen will, soll der auch nach Wein schmecken.
Beim Parfümhändler hat er dann, wie schon so oft in Situationen völliger Entscheidungsunfähigkeit, mit einer seit Kindertagen bewährten Entscheidungshilfe, einem Abzählreim, den dritten Flakon von rechts ausgewählt, bezahlt und dann fluchtartig die Örtlichkeit verlassen. Floyd brauchte eine Weile an der frischen Luft, bis er wieder Herr seiner Sinne war, sodass er so die noch restliche Wartezeit für den Uhrmacher überwand, und er seine Armbanduhr wieder ohne ein Wort zu sagen bezahlen und in Empfang nehmen konnte. Der Heimweg verlief zum Glück ereignislos. Allerdings hat Floyd den restlichen Tag mit dem Sortieren von Schrauben in einem abgedunkelten Raum verbracht, um sich wieder in einen Zustand zu bringen, in dem sich linke und rechte Gehirnhälften wieder vertrugen. Das per Abzählreim ausgewählte Parfüm war übrigens ein Knaller, und hat Floyd`s Gattin sehr erfreut. Da hatte sich der ganze Aufwand wenigstens gelohnt.
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